»Paul Bokowski wandelt sich mit „Schlesenburg“ vom humorvollen Erzähler zu einem wichtigen Schriftsteller der Erinnerungskultur.«
Berliner Zeitung (19. Oktober 2022)
„Wie Paul Bokowski uns rauslockt, zum Spielen in den Hof, in die Sehnsüchte und Abgründe der Kindheit, das ist großes Leseglück.“ Bov Bjerg
Schlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen. Und plötzlich ging die Angst um, jetzt würden hier bei uns Rumänen oder Russlanddeutsche einziehen. Die halbe Burg schaute mit Abscheu auf das Asylbewerberheim, wo sie alle wohnten, und mit zu viel Stolz darauf, dass man es selber hinter sich gelassen hatte. Es war das Jahr, in dem das neue Mädchen in die Siedlung zog, das Jahr, in dem Darius verschwand, in welchem Mutter nur Konsalik las und ich zu spät begriff, dass Vater mit der ausgebrannten Wohnung seine eigenen Pläne hatte…
„Schlesenburg“ erzählt von Geflüchteten und ihren Hiergeborenen, von Heimweh und einer neuen Heimat. Ein so warmherziger wie bittersüßer Roman über den Traum von Anpassung und Wohlstand – und die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht weiß, woher man gekommen ist.
5 Fragen an Paul Bokowski zu seinem Roman »Schlesenburg«
Lieber Paul, in einem Satz: Worum geht es in deinem Romandebüt?
Es geht um Herkunft und um eine neue Heimat, um die titelgebende Sozialbausiedlung und ihre Parallelwelt, um Flüchtlinge und ihre Hiergeborenen, und um die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht genau weiß, wo man hergekommen ist.
Was bedeutet der Titel?
Die titelgebende SCHLESENBURG ist eine Sozialbausiedlung. Nüchterne, weiße Wohnblöcke, irgendwo in Westdeutschland im Sommer 1989. Zu dieser Zeit wohnen fast ausnahmslos polnische Familien in den Blockbauten. Die deutschen Familien aus den angrenzenden Reihenhaussiedlungen benutzen den Namen despektierlich und abwertend. Aber die schlesischen Familien in der Burg tragen ihn mit Stolz und stiller Würde.
Deine ersten Werke kommen aus dem humoristischen Genre, »Schlesenburg« ist dein Romandebüt. Was waren die größten kreativen Herausforderungen und haben sie sich im Laufe der Zeit verändert?
Die sicherlich größte Herausforderung war die ungewohnte Länge. Zehn Jahre lang habe ich meinen Kopf darauf konditioniert kurze Texte zu schreiben, Essays, Kolumnen, Kurzgeschichten und plötzlich ein Roman! Die ersten Kapitel waren wie ein Waten in einem trüben See, unsicher und aufregend. Aber plötzlich hat das Wasser sich geklärt und ich habe ein freies, gelöstes Schreiben erlebt. Es hat einen neuen, großen Sog auf mich ausgeübt, den ich gern über den Roman hinaus behalten hätte, eingekocht als Tonikum für schlechte Tage.
Wie würdest du deine Entwicklung als Künstler beschreiben?
In der Kunst nach außen wurde ich von den Berliner Lesebühnen sozialisiert. Dort sehe ich meine literarische Heimat. Die Geborgenheit des Kollektivs, ihre literarische Gemeinschaft und die enge Nähe zu einem treuen Publikum. Die Lesebühnen haben mich den Blick auf den Alltag gelehrt. Dieser Blick ist über meine eigenen Erinnerungen auch in den Roman gewandert. Bleibt zu hoffen, dass der Roman nicht nur das alte Publikum mitreißen, sondern auch eine neue Leserschaft erobern kann.
Was sagt deine Familie zum Roman?
Meine Familie teilt die Freude über den Roman mit mir. Den Schritt in neue literarische Gewässer. Aber ich weiß, um ihre Herkunft: Migrant*innen der ersten Generation, Sprösslinge von Kleinbauern, die nicht das Glück hatten, bildungsnah, noch privilegiert aufzuwachsen. Deshalb habe ich mir viel Zeit genommen, ihnen zu erklären, warum ich diesen Roman schreiben muss, das Paradox dahinter. Dass es unsere Geschichte ist und zeitgleich nicht unsere. Wie wichtig ich es finde, für sie und mich und alle, die so sind wie wir, dass diese Geschichte erzählt wird.